„Wie, Sie machen ayurvedische Beratung und sprechen sich gleichzeitig für Hormone in den Wechseljahren aus? Das passt doch gar nicht!“ – wie oft habe ich diese Frage von Frauen in meinem Umfeld schon gehört!
Für mich schwingt in diesem Satz immer die Annahme mit, dass sich der Ayurveda und eine klassische schulmedizinische Behandlung gegenseitig ausschließen. Nein, das tun sie nicht, ganz im Gegenteil: Ich bin der Auffassung, es täte sowohl uns Patientinnen und Patienten als auch unserem gesamten Gesundheitssystem gut, wenn wir öfter mal nach rechts und links schauen würden, um zu erkennen, womit andere Medizinsysteme, sei es der Ayurveda oder die traditionelle chinesische Medizin (TCM), oft mit verhältnismäßig einfachen und kostengünstigen Maßnahmen gesundheitliche Erfolge erzielen.
Der Ayurveda teilt unser Leben in drei große Lebensabschnitte auf: In der Kinder- und Jugendphase muss unser Körper wachsen und Strukturen aufbauen, was dem sog. Kapha zugeordnet wird. In der Zeit von ca. 20 bis 50 Jahren ist unsere Sturm- und Drangzeit, geprägt vom feurigen Element Pitta. In dieser Lebenshase sind wir sehr aktiv, machen eine Ausbildung oder ein Studium, wählen unsere Partner, gründen vielleicht eine Familie und machen unseren beruflichen Weg. Ca. ab dem fünften Lebensjahrzehnt treten wir nach dem Ayurveda in die Vata-Lebensphase ein. Diese spiegelt unsere gewonnene Lebensweisheit wider: Wir haben viel erlebt, viel erreicht und können uns jetzt wieder mehr uns selbst widmen, als den äußeren Gegebenheiten. In dieser Übergangsphase von Pitta zu Vata treten bei den Frauen die Wechseljahre auf. Dieser Begriff wird in den alten ayurvedischen Schriften nicht verwandt, sondern der Ayurveda geht in dieser Zeit von einem Eintritt in eine neue Lebensphase aus, ähnlich zu der, die wir z. B. in der Pubertät durchlaufen. Es ist also weder eine Störung noch eine Krankheit. Aber natürlich können wir in dieser Zeit aufgrund der Hormonveränderungen ordentlich aus dem Gleichgewicht geraten, und zahlreiche Beschwerden können auftreten. Übrigens gibt es diese Übergangshase natürlich auch bei den Männern, die ebenfalls körperliche Veränderungen an sich bemerken.
Diese Vata-Lebensphase ist von vielen äußeren Faktoren geprägt: Kinder ziehen aus dem Haus, berufliche Veränderungen stehen an oder Eltern werden pflegebedürftig. All diese Veränderungen bieten – auch wenn sie natürlich herausfordernd sind – die Chance, noch einmal grundlegend zu überprüfen, ob das Leben in der zweiten Lebenshälfte so weitergehen darf oder Anpassungen vorgenommen werden sollten. Diese Fragen stellen sich viele Frauen in den Wechseljahren. Sie treten besonders dann in den Vordergrund, wenn gesundheitliche Beschwerden in dieser Zeit so stark werden, dass der gewohnte Alltag immer schwerer aufrecht zu halten ist, sei es aufgrund von Schlafstörungen, Hitzewallungen, Gelenkproblemen oder psychischen Begleiterscheinungen.
Ungefähr jede dritte Frau berichtet, sie habe tatsächlich kaum bis gar keine Einschränkungen in dieser Zeit, ein Drittel nur geringe. Das letzte Drittel gibt an, massiv unter Symptomen zu leiden, die klassischerweise mit den Wechseljahren in Verbindung gebracht werden. Ich behaupte, dass diese Analyse verkürzt ist. Warum? Viele Frauen bringen bestimmte Symptome gar nicht oder erst sehr spät mit den Wechseljahren in Verbindung und sprechen diese nicht bei ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen an, sondern gehen mit einzelnen Beschwerden zu Fachärzten. Und diese haben selten das Thema Wechseljahre im Blick, das oft bereits schon in den späten Dreißigern oder frühen Vierzigern und nicht erst jenseits der 50 eine Rolle spielen kann. Gehen Sie mal zu ihrem Orthopäden oder ihrer Orthopädin und berichten ihm von wechselnden Gelenkproblemen: Er oder sie wird selbstverständlich versuchen, eine Entzündungssituation oder Rheumafaktoren auszuschließen. Wenn diese Diagnostik nicht erfolgreich ist, werden Sie eine Empfehlung erhalten, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren. Aber einen Hinweis auf eine mögliche Hormonproblematik werden Sie vermutlich aufgrund seines Fachgebietes eher nicht erhalten.
Beschwerden innerhalb der Wechseljahre können häufig ein Spiegelbild der letzten Jahrzehnte sein. Haben wir uns häufig überfordert? Unsere Ressourcen übermäßig beansprucht? Andere Prioritäten als uns selbst gesetzt? All das kann dazu geführt haben, dass die natürlichen hormonellen Veränderungen stärker zum Ausdruck kommen. Nach dem ayurvedischen Verständnis zeigt dies, dass wir in den letzten Jahren nicht in unserer Balance gelebt und damit zusätzliche Energien sowie Kraft verbraucht haben. Daher ist der Ansatz im Ayurveda, in der Zeit der Umstellung von einer Lebenshase zur nächsten bestmöglich und zeitnah die Balance wiederherzustellen. Dabei können und dürfen auch nach ayurvedischen Gesichtspunkten bioidentische Hormone helfen und unterstützen!
Auch wenn der Ayurveda den Begriff der Wechseljahre nicht kennt, werden auch in diesem Medizinsystem Frauen Mittel zur Hormongesundheit gegeben wie z.B. Ashwawghanha, auch als Schlafbeere oder Indisches Ginseng bekannt. Darüber hinaus verfügt der Ayurveda aber auch über zahlreiche weitere Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Frau: Ölmassagen, Entspannungsmaßnahmen, Rasa Yanas (ayurvedische Regenerationskur) oder auch sinnvolle Nahrungsergänzungsmittel. Wir haben sowohl im Ayurveda als auch in der Schulmedizin so viele gute wertvolle Möglichkeiten, zu helfen und zu lindern. Diese sollten wir individuell für ein möglichst langes gesundes Leben nutzen und nicht vornherein bestimmte Sachen aus ideologischen Gründen ausschließen.
Meine Grundüberzeugung ist: Jede Frau sollte selbstbestimmt entscheiden, welchen Weg sie in dieser besonderen Lebenszeit gehen möchte und welcher ihr am meisten entspricht. Ich bin der Auffassung, dass der Ayurveda und bioidentische Hormone sehr wohl zusammenpassen können, wenn die Frau das möchte. Halten wir uns doch alle Türen offen! Wichtiger ist es doch, diese Lebensphase gut zu durchlaufen und weiter Lebensfreude sowie Zufriedenheit im Alltag zu verankern. Verschließen wir uns keiner Möglichkeit, nur weil wir denken, etwas gehört nicht zusammen. Who cares?
Besonders die Gabe von bioidentischem Progesteron kann für viele Frauen tatsächlich ein Gamechanger sein: Es ist das sogenannte „Well-being Hormon“ und kann z.B. aufgrund seiner positiven Auswirkungen auf den Schlaf für ein höheres Energielevel sorgen. Frauen gewinnen damit wieder die Möglichkeit zurück, ausgeruhter in den Tag zu starten. Die Gabe von bioidentischem Östrogen kann zusätzlich so viele positive Auswirkungen auf Wechseljahresbeschwerden haben, sodass die Frauen wieder beschwerdefreier ihren Alltag meistern können. Von den vielen positiven vorbeugenden Auswirkungen für das spätere Alter, die viel zu selten berücksichtigt werden, ganz zu schweigen! Natürlich muss dabei die jeweilige Vorgeschichte in Bezug auf mögliche Krebserkrankungen in der Familie berücksichtigt werden. Daher ist die umfassende gynäkologische Beratung unabdingbar und essenziell für die Entscheidung einer Frau, ob sie bioidentische Hormone einnehmen möchte oder nicht.
Oft ist es in dieser Zeit hilfreich, nicht nur eine Meinung einzuholen, sondern sich umfassend zu informieren. Zum Glück nimmt dieses Thema immer mehr Raum ein, und Wissen ist für uns alle viel leichter zugänglich geworden. Und zum Glück wird dieses Thema nicht mehr hinter vorgehaltener Hand, sondern offen und medial breit diskutiert! Beraten und besprechen Sie sich mit Frauen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld. Tauschen Sie sich aus, profitieren Sie von Erfahrungen anderer Frauen und lassen Sie sich nicht mit allgemeinen Plattitüden von: „Da müssen sie jetzt einfach durch!“ oder „Das hat noch jede Frau geschafft!“, abspeisen. Je besser Sie informiert sind, desto mehr können Sie in den für Sie wichtigen Austausch mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin gehen.
Ich habe mehr als zehn Jahre an einer Fakultät für Humanmedizin gearbeitet, und die Wechseljahre haben im Pflichtcurriculum des Studiums eine mehr als untergeordnete Rolle gespielt. Präventive Aspekte einer Hormongabe in den Wechseljahren wurden gar nicht im Lehrplan berücksichtigt. Daher ist es aus meiner Sicht umso wichtiger, dass wir informiert in die Arztpraxis gehen, aktiv nach Vor- und Nachteilen einer Gabe von bioidentischen Hormonen fragen und dann erst die individuelle Entscheidung treffen. Es gibt mittlerweile so viele gute Möglichkeiten, sich zu informieren und herauszufinden, was möchte ich in dieser Zeit und welcher Weg ist für mich der richtige. Davon sollten wir uns nicht abbringen lassen, sondern uns vielmehr gegenseitig in unseren Entscheidungen unterstützen. Dies gelingt aber nur, wenn wir offen darüber sprechen und fragen: „Wie machst Du das eigentlich? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?“ Leider mache ich immer wieder die Erfahrung in meiner Beratung, dass Frauen nicht gerne und vor allem nicht in größeren Runden über Ihre Beschwerden und Bedenken einer Hormonersatztherapie sprechen, sondern zurückhaltend und sogar leicht beschämt davon berichten. Das gilt es aus meiner Sicht dringend zu verändern. Aus meiner ayurvedischen Erfahrung kommt jedenfalls ein klares: GO!